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Von der Idee zu einer lebendigen Bildgeschichte

Von der Idee zu einer lebendigen Bildgeschichte - Blog-Beitrag von Fotograf Boris Bethge / 15.10.2023 15:34

Storytelling in Form von Bildstrecken

Ich möchte euch von meiner Leidenschaft berichten, Menschen über das Erzählen von Bildgeschichten zu berühren. Und von einem besonderen Shooting mit Gabi & Valeriia, in dem ich zwei meiner größten Next Levels erlebt habe.

Zum einen, wie einfach es sein kann auch komplexere Geschichten in Form kompletter Bildstrecken mit der Kamera zu erzählen, wenn man alles konsequent in mundgerechte Häppchen aufteilt. Und, was für lebendige Bilder entstehen können, wenn man den Protagonisten innerhalb der einzelnen Episoden den Freiraum gibt, die Handlung auszufüllen. Der Grundstein zu letzterem wurde übrigens zufällig vor gut 3 Jahren bei mir gelegt, als unser Kater Merlin in das Shooting mit Nicole hereingeplatzt ist. Bei der Interaktion der beiden sind unfassbar lebendige und authentische Bilder entstanden.

Kurz einmal alles auf Anfang – ich kann glaube ich nur in Bildgeschichten

Seit ich 2014 als Quereinsteiger in die Fotografie eingestiegen bin, habe ich bei meinen Shoots bereits in kleinen Bildserien oder Handlungsfolgen gedacht. Zuerst unbewusst, später habe ich das Thema Storytelling dann immer weiter beim shooten meiner Bildstrecken ausgebaut. Ich habe für mich festgestellt, wenn ich in Handlungsabläufen shoote, entsteht ein stimmiger Flow und somit auch stimmige Bilder. Bilder, die den Bildbetrachter weit mehr zum Nachdenken animieren, als es vielleicht ein statisches Einzelbild vermag. Besonders, wenn ich mit Menschen zusammenarbeite, die eher selten vor der Kamera stehen. Für diese Form des Storytellings brenne ich lichterloh! Aus dieser Urmotivation und Herangehensweise ist auch die Bildgeschichte „Daydreams“ mit Gabi und Valeriia entstanden.

Meine persönlichen Next Levels beim Shoot von „Daydreams“

Gabi und Valeriia haben mich bei einer meiner Veranstaltungen angesprochen, ob ich nicht auch mal mit ihnen zusammen shooten möchte. Ich habe vorher bereits mit beiden unabhängig voneinander gearbeitet und war sofort Feuer und Flamme. Ich spürte bereits die Vorfreude auf dieses Projekt. Die Herausforderung für mich: Ich hatte bisher noch keine komplette Geschichte mit zwei interagierenden Protagonistinnen umgesetzt. Ich war schon ein wenig aufgeregt. Es sollte sich aber als ein Maga Learning herausstellen.

Die Idee für die Bild-Geschichte

Zu der Idee und möglichen Inhalten versuche ich alles, was mir dazu an Gedanken kommt, aus dem Kopf auf ein Blatt Papier zu kritzeln. Das nennt sich übrigens Brainstorming. Ich habe dafür immer einen DIN A3 Zeichenblock rumliegen. So kann ich neue Gedanken hinzufügen es später weiter strukturieren. Vielleicht geht es euch auch so, wenn ich meine Gedanken nicht aufs Papier bringe, habe ich immer dieses unbestimmte Gefühl, mir geht irgendetwas wichtiges durch Lappen. Tipp: Schreibt die Gedanken einfach Stichwortartig, aufs Papier, so wie sie kommen. Versucht aber nicht, es gleichzeitig auch schon sortieren zu wollen. Das führt meistens zu einem Knoten im Kopf und der Prozess gerät ins Stocken.

Da Gabi & Valeriia auch gute Freundinnen sind, war dies die Basis für die Grundidee: Zwei Freundinnen verbringen einen gemeinsamen Tag.

Schritte für die Umsetzung

Ich habe mir überlegt, was könnten die Beiden an diesem Tag alles erleben. Umsetzen wollte ich es in einer möblierten Location mit improvisierter Bettenlandschaft. So war der Rahmen bereits eingegrenzt. Nachdem mein Blatt Papier vollgekritzelt war, habe ich das Ganze in eine Folge kleiner Episoden aufgeteilt und danach in eine für mich stimmige Reihenfolge gebracht. Nach dem Motto: Hast du einen großen Berg vor der Brust, teile ihn in kleine, mundgerechte Häppchen. Ich habe auch Ideen verworfen.

Der nächste Schritt war es am Setting zu feilen und Assessors für die einzelnen Episoden zusammen zu raffen, sowie die Klamotten abzustimmen. Valeriia: „Oh ja, ich bring meine Polaroidkamera mit, da lässt sich bestimmt was mit machen.“

Da eine Episode ein gemeinsames Frühstück der beiden war, gehörte dazu natürlich alles aufs Tablett, inkl. leckerer Croissants und frisch gebrühtem Kaffee. Tipp: Sorgt für ein möglichst echtes Umfeld. Es macht einen Unterschied, ob ich Valeriia einen blitzsauberen Becher aus dem Schrank in die Hand drücke, oder ob sie einen warmen Becher fühlt und den frischen Kaffeeduft in der Nase hat Die Bilder, die da entstehen, werden wesentlich authentischer.

Jetzt mussten wir nur noch einen gemeinsamen Termin finden. Übrigens war dies auch der Zeitpunkt, wo mir zum Storytelling noch ein spannender Akzent für die Geschichte eingefallen ist. Bis zum Schluss sollte der Bildbetrachter im Unklaren sein, ob die beiden nur gute Freundinnen oder vielleicht doch ein Paar sind. Damit hat sich auch der Titel von ursprünglich „Lazy Days“ in „Daydreams“ gewandelt. Solche Entwicklungen sind typisch bei so einem fortschreitenden Kreativitätsprozess.

Die Bilder, die darauf schließen ließen, dass die beiden doch ein Paar sind, sollten eher schemenhaft, wie Facetten aus einem Tagtraum, erscheinen. Wie bspw. das Titelbild. Um diesen Tilt-Shift-Effekt zu erzielen, habe ich einfach ein großen Cognac-Schwenker vor das Objektiv gehalten. Da muss man dann ein wenig rumprobieren. Wenn man den Dreh heraushat, ist es aber eine easy Angelegenheit. Bei dem folgenden Bild habe ich über Bewegungsunschärfe mit einer 1/4s gearbeitet. Da die Episodenliste mittlerweile schon recht lang geworden ist, war ich schon ein wenig Bange, ob alles so umsetzbar ist, wie ich es mir ausgemalt habe.

Meine Learnings

Die größten Learnings für mich bei diesem Abenteuer waren: Diese recht komplexe Geschichte einfach in kleine Episoden aufzuteilen (was soll passieren). Und das „Wie“ der Umsetzung weitestgehend Gabi & Valeriia zu überlassen. Dazu gehörte für mich allerdings auch Mut zur Lücke. Ich denke, eine große Herausforderung als Fotograf ist es, die Kontrolle ein Stück weit abzugeben und darauf zu vertrauen, dass ein eigenständiger Flow zwischen Gabi & Valeriia entsteht. Analog zum Initial-Move mit Nicole & Kater Merlin. Zum Mut zu dieser Lücke gehört dann aber auch ein entsprechender Mindchange. Es ist, glaube ich, immer noch eine weitverbreitete Überzeugung, ich als Fotograf wäre für alles verantwortlich. Nicht nur für den handwerklichen Prozess, Bildkomposition und Kommunikation, sondern auch für das minuziöse Anleiten des „Modells“ inkl. Pose. Ich denke ein überzeichneter Gestaltungswille an dieser Stelle führt nicht selten zu statischen und leblosen Bildern.

Es war für uns Drei zuerst etwas ungewohnt und zu Beginn auch hakelig. Für mich war es tatsächlich gar nicht so einfach, Gabi und Valeriia die Zeit und vor allem Ruhe zu geben, sich in die jeweilige Episode einzufinden, ohne wieder in gewohnter Manier voreilend das Zepter zu übernehmen. Als wir uns aber eingegrooved und gesehen haben, was für Bilder entstehen, wurden auch Gabi & Valeriia immer mutiger. Der Handlungs-Flow, innerhalb der kleinen Episoden, bekam ein Eigenleben und auch eine erfrischende Leichtigkeit.

Übrigens auch die Episodenliste war ein Plus. Sie hat es für mich unfassbar einfacher gemacht, während des Shoots den „Roten Faden“ zu behalten. Ihr kennt vielleicht auch Shoots, bei denen man schlicht vergessen hat einen Teil der Ideen umzusetzen, weil man sich auf vieles gleichzeitig konzentrieren musste. Wenn es mal ins Stocken geraten ist, habe ich einfach souffliert und Anregungen gegeben, bis wir wieder im Flow waren. Es war faszinierend zu beobachten, wie innerhalb dieses Rahmens Bilder entstanden sind, die sehr lebendig und stimmig waren, da sie immer aus echtem Handeln resultierten. Aber auch Bilder entstanden sind, die ich mir so im Vorfeld nicht hätte ausdenken können!

Spannend war auch zu erleben, wie sich meine Rolle über diesen Prozess ein Stück weit vom Porträt-Fotografen zum Reportage-Fotografen gewandelt hat.

Für jede Bildgeschichte umsetzbar

Dieser Ansatz lässt sich tatsächlich für jeder Art von Bildgeschichte oder Bildstrecke umsetzen, egal ob es sich um eine kleine oder sehr komplexe Geschichte handelt. Es funktioniert überall gleich. Und man vermeidet dadurch auch, sowohl sich als Fotografen als auch die Protagonisten vor der Kamera zu überfordern und zu demotivieren:

• Teile die Geschichte (das WAS) in kleine Episoden auf

• Transportiere die Stimmung / die Vibes und

• Überlasse das Ausfüllen der Handlung (das WIE) weitestgehend den Protagonisten

Auf dem Prüfstein

Diese Learnings habe ich übrigens jüngst beim Shooten eines kompletten Bild-Romans umgesetzt, für den ich mich mehrere Tage in einem opulent eingerichteten Herrenhaus eingemietet habe. Die Protagonistinnen waren Valeriia, die auch bei „Daydreams“ an Bord war und Ricarda. O-Ton Ricarda: „Ich hätte nicht gedacht, dass es bei diesem Programm, das wir uns vorgenommen haben, so easy sein wird. Dieses Entlanghangeln an kleinen Episoden hat so eine Leichtigkeit und ich habe mich nie überfordert gefühlt. Es hat, zusammen mit Vali, einfach so viel Spaß gemacht und mich immer wieder gehiped, weil es sofort Erfolgserlebnisse gab.“

Auch hier ist zwischen den beiden Protagonistinnen der Geschichte ein eigener Handlungsflow innerhalb der Episoden entstanden. Ricarda und Valeriia haben sich übrigens erst auf unser drei stündigen Autofahrt nach Rostock kennen gelernt. Der Bildroman, ein Spagat aus Bildgeschichte und Bildband, wird Ende des Jahres herauskommen.

Diese Form, sich methodisch zu entlasten ermöglicht es mir, mich voll auf die Menschen, Stimmungen und Bildkomposition zu konzentrieren. Genau die Punkte, die dafür verantwortlich sind, ob ein Bild den Bildbetrachter berührt oder eben nicht.

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